Picknick mit Buschblick: Feierabend der Senioren

IM ALTER NACH AFRIKA

IM ALTER NACH AFRIKA

Während Arbeitswillige aus ärmeren, oft südlichen Ländern in die reichen Länder auswandern, zieht es Rentner in die umgekehrte Richtung. Sie suchen nach sonnigerem Wetter, niedrigeren Lebenshaltungskosten und vor allem nach besserer Pflege. Zum Beispiel in Namibia.

Kurz nach 19 Uhr taucht die Sonne hinter den Bismarckbergen unter. Der Himmel färbt sich rot und bringt die blühenden Gräser zum Leuchten. Zwischen Akazien und Kameldorn grasen Kuhantilopen und Springböcke, die Vögel zwitschern, und die weite Buschlandschaft Namibias hüllt sich in ein glühendes Licht. Eine Gruppe Senioren beobachtet das Schauspiel von einer Aussichtsplattform im Schatten alter Hirtenbäume. „Wir kommen immer wieder hierher“, sagt Werner Renz, ehemaliger Lehrer aus dem schwäbischen Kirchheim. „Jeder bringt, was er gerade zu Hause hat, Wurst, Käse, Chips und Cracker, dazu Bier oder Gin Tonic.“ Heiligabend gab es Saitenwürstchen und Kartoffelsalat. Die Senioren leben in der Farmresidenz Sonnleiten, zwei Kilometer Luftlinie von dem Sundowner-Platz entfernt, wo ein altes Windrad in den Himmel ragt. Hinter dem Elektrozaun und Rolltor verstecken sich Dutzende braungelbe Bungalows, umgeben von Gärten mit blühenden Sonnenblumen, Kamillen, Kakteen und Agaven.

Warzenschweine und Schakale

Lilo Renz genießt das Leben in der Fremde. Jeden Morgen um halb acht packt sie ihre Wanderstöcke und marschiert hinaus in den Busch. Die kurzen Regenfälle der letzten Wochen haben die Landschaft in einen Garten Eden verwandelt. Direkt am Boden blühen Lilien, Glockenblumen schießen zwei Meter in die Höhe, dorniges Gestrüpp treibt frische neue Zweige. „Jeden Tag laufen mir Tiere über den Weg, Kudus und Oryxantilopen, Schakale und Warzenschweine“, sagt die weißhaarige Frau, die früher bei einem Steuerberater gearbeitet hat. „Das ist wie im Paradies.“ Kurz vor dem Frühstück springt Lilo Renz gewöhnlich in den beheizten Swimmingpool und dreht einige Bahnen. „Ich mochte schon immer Bewegung“, sagt die Rentnerin. „Zu Hause hat es aber entweder geregnet, oder es war einfach zu kalt.“ Werner Renz, der es etwas weniger sportlich mag, nickt verständnisvoll und liest die AZ, die in der Hauptstadt Windhoek erscheinende deutschsprachige Allgemeine Zeitung.

Die beiden 70-jährigen Deutschen haben vor 15 Jahren zum ersten Mal Urlaub in Namibia verbracht, haben den Etosha-Nationalpark besucht und sich in die weite Landschaft verliebt. 2009 sind sie dann in Sonnleiten eingezogen. Die Entscheidung, in die Ferne zu gehen, fiel ihnen nicht leicht, aber die Kinder und die Enkel waren groß – und hatten ein eigenes Leben. „Wir haben sie zuletzt vielleicht einmal im Monat gesehen“, sagt Werner Renz. „Nun fahren wir jedes Jahr für vier Monate nach Deutschland, um die Familie und Freunde zu besuchen.“ Über 70 Senioren leben auf Sonnleiten, rund 35 Kilometer von Windhoek entfernt. Die meisten sind weiße Südafrikaner und Deutschnamibier, 22 stammen aus Deutschland, drei aus Österreich, zwei aus der Schweiz. Zuletzt haben auch US-Amerikaner und Briten angefragt, berichtet der Manager Riaan van Heerden.

»Jeden Tag laufen uns Antilopen über den Weg - das ist wie im Paradies.«

Lilo und Werner Renz

Vom schwäbischen Kirchheim sind sie in den Südwesten Afrikas umgezogen. Die alte Heimat besuchen sie vier Monate im Jahr.

Das Windrad über der Residenz stammt noch von der 100 Jahre alten Farm.

Currywurst und Sauerkraut

Die Seniorenresidenz mit 53 Häusern, dazu Rezeption, Restaurant, Bibliothek, Pool, Massageraum und Pflegestation, war früher eine Rinderfarm, die von dem deutschen Einwanderer Erich Rust 1900 gegründet wurde. Er war einer jener Pioniere, die die deutsche Kolonie Südwestafrika aufbauen sollten. Mit dem Ersten Weltkrieg ging die deutsche Kolonialherrschaft zu Ende, doch der kulturelle Einfluss der Deutschen hat sich bis heute in Namibia gehalten. Es gibt deutschsprachige Schulen, deutsche Spezialitäten wie Maultaschen, Currywurst oder Sauerkraut im Supermarkt, deutschsprachige Radiosender und Zeitungen. Und das Bier wird nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut.

„Es ist manchmal schön, die gewohnten Sachen zu genießen“, sagt Rainer Schwertfeger. „Das macht die Fremde für manche Leute erträglicher.“ Der Ingenieur, der als Projektleiter für Siemens in vielen Ländern der Welt gearbeitet hat, kam kurz nach seinem Studium 1980 zum ersten Mal nach Namibia – seitdem ließ ihn das Land nicht mehr los. Deshalb entschied er sich, hier seinen Alterswohnsitz zu wählen.

Knapp 100.000 € zahlte er für ein 130 Quadratmeter großes Haus und zog Ende 2012 ein. „Für diesen Preis hätte ich auf Fuerteventura nur ein Zimmer mit Bad kaufen können“, sagt der 62-jährige Ingenieur, der nur aufgrund glücklicher Zufälle noch lebt: In Kuwait und in New York geriet er in Terroranschläge. „Während 9/11 habe ich den giftigen Staub im World Trade Center eingeatmet, wo wir unsere Büros hatten – deswegen leide ich heute unter Kurzatmigkeit“, sagt der aus Ludwigsburg stammende Deutsche. „Aber ich habe überlebt.“

Wer immer wieder in Gefahr war, der schätzt die Sicherheit und die Stabilität von Namibia. Die Kriminalität ist niedrig, das politische System funktioniert, das Land hat eine gute Infrastruktur, es gibt 24 Stunden Strom und Wasser. „Namibia bietet alle Vorteile von Afrika – und kaum Nachteile“, sagt Schwertfeger. „Du brauchst keine Impfungen, die Kliniken und Krankenhäuser sind gut – und die meisten Ärzte sprechen sogar Deutsch. Es gibt keine Luftverschmutzung, und das Grundwasser in Sonnleiten ist so sauber, dass es nicht geklärt werden muss. Wo findet man so etwas noch?“ Zum vollständigen Glück fehlt ihm nur noch eine Partnerin.

Hoher Lebensstandard ist hier bezahlbar

Die Senioren von Sonnleiten sind eine eingeschworene Gemeinschaft. Sie treffen sich einmal die Woche zum Boulespiel auf einem kleinen Platz zwischen Akazien und Hirtenbäumen. Zweimal die Woche treiben sie Gymnastik. Die Physiotherapeutin Birte Burmeister kommt aus Windhoek in die Residenz, wer will, kann bei ihr eine Massage und Krankengymnastik buchen – oder die Muskeln trainieren. Hin und wieder ist die Friseurin da, eine Kosmetikerin bietet medizinische Fußpflege. Die Senioren achten auf ihr Aussehen.

Die meisten sind im Alter immer noch fit. Aber es gibt auch ein paar Pflegefälle. Um die kümmern sich auf der Pflegestation zwei Krankenschwestern, die rund um die Uhr da sind. Jedes Haus ist mit Notrufknöpfen ausgestattet.

Insgesamt arbeiten über 20 Angestellte in Sonnleiten, sie kümmern sich um den Garten und bewachen die Anlage, sie kochen und servieren, räumen nach Wunsch die Häuser auf, waschen und bügeln die Wäsche. „Dieser Lebensstandard wäre in Deutschland kaum bezahlbar“, sagt Schwertfeger. In Sonnleiten liegen die fixen Nebenkosten bei 2,50 € pro Quadratmeter und Monat. Ein komplettes Mittagessen, bei dem oft deutsche Spezialitäten serviert werden, kostet mit Nachtisch weniger als vier €.

»Keine Luftverschmutzung - wo findet man das noch?«

Rainer Schwertfeger

Als Ingenieur kam er um die Welt. Hier gefiel es ihm am besten, deshalb blieb er am Ende hier.

Respekt und Anerkennung

Doch es geht nicht nur ums Geld. „In Deutschland wirst du als Rentner gleich angemotzt“, sagt der 78-jährige Hannes von Holtz. „In Namibia werden Senioren, egal ob schwarz oder weiß, mit sehr viel Respekt behandelt. Immer wenn ich mich in eine Schlange einreihe, winken mich die Leute sofort nach vorn durch.“ Und nicht nur das: Beim Super-Spar, dem bei deutschen Senioren beliebtesten Supermarkt in Windhoek, bekommen Rentner am Mittwoch fünf Prozent Rabatt auf alle Produkte. Die namibischen Banken bieten Senioren ein Prozent mehr Zinsen auf ihre Sparanlagen. „So etwas ist einfach nett“, sagt von Holtz. „Ein Zeichen von Respekt und Anerkennung.“ Drei seiner vier Kinder leben in Deutschland. „Sie wollten mich schon oft nach Deutschland holen“, sagt der groß gewachsene Mann mit dem schlohweißen Haar. „Soll ich dort aber in einem beengten Altersheim leben?“

Noch manches Abenteuer erleben

Hannes von Holtz trägt Shorts und Sandalen. Er sitzt auf der Terrasse und blickt auf die Bismarckberge. Die junge Hündin Reyka leistet ihm seit dem Tod seiner Frau vor zwei Jahren Gesellschaft. In der Wohnung stehen überall große Tierfiguren, geschnitzt aus afrikanischem Hartholz. „In Deutschland ist alles viel zu hektisch“, sagt der Rentner. „Ich bleibe lieber hier.“

Man braucht Zeit, um nach einem Arbeitsleben in Deutschland Gelassenheit zu finden. Die Senioren sind nicht zum Sterben nach Afrika gekommen, sie wollen den Lebensabend genießen. Sie sind agil: Wenn sie nicht gerade die alte Heimat besuchen, fahren sie in Namibia umher. „Man kann hier alles tun, was man in Deutschland gern gemacht hat: lesen, Musik hören, sogar ins Theater gehen“, sagt die 64-jährige Ute Bräunig, die mit ihrem vier Jahre älteren Mann Günther voriges Jahr in Sonnleiten einzog. „Aber man kann auch noch manches Abenteuer erleben.“

Die Bräunigs haben auch überlegt, ihren Alterssitz in Thailand zu suchen. „Mit meinem Rheuma ist das Klima hier in Namibia aber besser“, sagt Ute Bräunig. Sie mag auch die Hilfsbereitschaft der Menschen: „Egal ob du eine Panne hast oder einen Job brauchst, in Namibia wird geholfen und nicht erst lange gefragt.“ Was braucht man mehr im Leben?

Andrzej Rybak

reist seit 20 Jahren durch Afrika. An Namibia schätzt er vor allem die weiten Landschaften, das reiche Tierleben und die traditionellen Stammeskulturen.

»Keine Luftverschmutzung - wo findet man das noch?«

Rainer Schwertfeger

Als Ingenieur kam er um die Welt. Hier gefiel es ihm am besten, deshalb blieb er am Ende hier.