Manche Bewohner der nördlichen Hemisphäre altern glücklich im Süden, wie hier in Namibia.

»Alter und Wohlstand hängen miteinander zusammen.«

Liebe Leserinnen und Leser,
auf den ersten Blick sind es nur zwei Zahlen: 86 Jahre beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen in Japan, in Sierra Leone dagegen werden Frauen im Durchschnitt gerade mal 44 Jahre alt. Die Differenz ist riesig, und sie zeigt: Alter und Wohlstand hängen eng miteinander zusammen. Drastisch ausgedrückt: In armen Ländern stirbt man früher.

In Deutschland betrug im Jahr 1960 der Anteil der Menschen, die das 60. Lebensjahr überschritten hatten, rund 17 Prozent. Im Jahr 2020 werden es rund 30 Prozent sein – Tendenz weiter steigend. International tätige Unternehmen wie Evonik stellt diese Entwicklung vor erhebliche Herausforderungen: Wie lange sollen unsere Mitarbeiter künftig arbeiten? Wie können wir die Arbeitswelt optimal gestalten? Und wo finden wir in Zukunft qualifizierte Talente?

Die gesellschaftlichen Herausforderungen liegen auf der Hand: Die Sozialsysteme müssen immer mehr alte Menschen versorgen, der Bedarf an geschultem und sensiblem Pflegepersonal kann kaum mehr gedeckt werden. In Japan wird diese Betreuung daher zunehmend von Robotern übernommen. Was die einen technisch fasziniert, stößt andere ab. Ganz ohne Roboter kommen die Seniorenheime in Namibia aus: Die Menschen, die wir für die Reportage „Im Alter nach Afrika“ besucht haben, erfahren dort etwas, was sie in ihren Herkunftsländern vermissen: „Respekt und Anerkennung“ gegenüber älteren Menschen.

Überhaupt nicht alt wirkt der 78-jährige Henning Scherf, mit dem es sich im Interview trefflich streiten lässt. Der frühere Bürgermeister von Bremen hat klare Vorstellungen davon, welche Rolle die Alten in unserer Gesellschaft spielen sollten und was die Politik tun muss, um die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Ob seine Positionen mit denen seiner Partei oder denen der Gewerkschaft kollidieren, ist Scherf dabei egal. Jenseits der aktuellen Politik argumentiert er allein in der Sache.

Auch wenn viele Menschen heute deutlich gesünder altern als früher: Die biologische Grenze lässt sich nicht beliebig nach oben verschieben. Für den Alternsforscher Karl Lenhard Rudolph liegt sie bei maximal 120 Jahren. Menschen, die ihren 100. Geburtstag bereits gefeiert haben, hat der Frankfurter Fotograf Karsten Thormaelen fotografiert. Seine Porträts zeigen einfühlsam Würde und Schönheit des Alters. Diese Gesichter spiegeln ein ganzes Jahrhundert, und sie sollten all jenen zu denken geben, die ihr Leben vor allem als Kampf gegen die Zeit begreifen. Denn Lebensfreude ist eben keine Frage des Alters.

Christof Endruweit, Chefredakteur