Karl Lenhard Rudolph, Professor ist Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Alternsforschung in Jena.

»Wie weit lässt sich das Leben verlängern?«

Alternsforscher Karl Lenhard Rudolph über Folgen der Evolution

Was passiert mit dem Menschen im Alter? Warum werden wir alt und sterben?

In Millionen Jahren der Evolution sind die meisten Lebewesen so programmiert worden, dass sie den Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit im fortpflanzungsfähigen Alter erreichen. Nach der Fortpflanzung und dem Aufzug der nächsten Generation hat der Organismus seine Aufgabe erfüllt. Das gilt auch für den Menschen: Unser Hard Drive, also unsere Gene und die Art, wie sie miteinander verschaltet sind, erreicht seine optimale Fitness mit 25 bis 40 Lebensjahren. Was danach passiert, ist der Evolution ziemlich egal (bis auf einen geringen evolutionären Nutzen der Großelterngeneration bei der Aufzucht der Enkelgeneration). Nach dem Reproduktionsalter setzt das Altern ein. Die Nervenzellen im Gehirn verlieren ihre Plastizität und bilden keine Synapsen, die Stammzellen hören auf, sich zu teilen, und die Regenerationsfähigkeit von Organen lässt nach. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Mutationen und Defekte zu, Proteine verklumpen, toxische Stoffe sorgen für einen chronischen Entzündungszustand in fast allem Gewebe. Wenn dieser Funktionsverlust von Zellen und Organen einsetzt, beginnt das Altern.

»Es gibt eine biologische Grenze, die bei 100,maximal 120 Jahren liegt.«

Was passiert mit den geistigen Fähigkeiten?

Die geistige Entwicklung folgt auch diesem Muster, aber nicht ganz so deutlich. Der alternde Mensch erlebt einen Verlust an Kreativität, aber gleichzeitig einen Gewinn an Erfahrung. Es gibt Künstler, die erst im hohen Alter ihre hervorragenden Werke geschrieben oder komponiert haben. Im Allgemeinen gilt aber auch hier: Im Alter geht die Fähigkeit zurück, Neues zu erlernen, das Gedächtnis lässt nach.

Die Menschen werden dennoch immer älter. Anfang April ist die Italienerin Emma Morano mit 117 Jahren gestorben. Wo sind die Grenzen der Langlebigkeit?

Ich denke, es gibt eine biologische Grenze für die Lebenserwartung, die bei 100, maximal 120 Jahren liegt. Lassen wir uns nicht von der Tatsache täuschen, dass sich die mittlere Lebenserwartung in Deutschland in den letzten 200 Jahren von Mitte 40 auf Mitte 80 verdoppelt hat und bis 2035 wahrscheinlich auf 90 Jahre ansteigen wird. Das liegt vor allem daran, dass Erkrankungen früher erkannt und besser therapiert werden und dass die Menschen gesünder leben. Sie ernähren sich besser, haben bessere Arbeitsund Wohnbedingungen. Dadurch werden die Alterungsprozesse verlangsamt. Die Alterung als solche ist dadurch aber nicht gestoppt. Das von der Evolution gestartete Programm, das die Funktionsfähigkeit unserer Systeme nach der Fortpflanzung zurückfährt, lässt sich nicht so leicht aushebeln.

Es gibt Gegenden, in denen die Menschen länger leben. Woran liegt das? Können wir uns dort etwas abgucken?

Die Ernährung und die Lebensweise sind ohne Zweifel förderlich für gesundes Altern. Das Olivenöl in der mediterranen Diät oder der Fischverzehr in Japan können sich positiv auch auf die Lebensspanne auswirken. Auch wissen wir, dass Stress und Übergewicht das biologische Altern beschleunigen. Bewegung und Sport dagegen wirken sich positiv aus. Was also wichtig ist: Während wir an unserem Erbgut nicht viel ändern können, können wir unsere Gewohnheiten anpassen, um gesünder zu altern.

Es heißt manchmal: Wer hungert, lebt länger. Ist das wirklich so?

Die Verminderung der Nahrungszufuhr führt bei verschiedenen Organismen zur Verlängerung der Lebensspanne und zur Verbesserung der Gesundheit. Das wurde zuerst an Fliegen und Würmern gezeigt, inzwischen aber auch bei Mäusen und Affen festgestellt. Es ist nicht nur die Verminderung des Stoffwechsels, die das Altern verlangsamt. Es gibt eine Menge protektiver Mechanismen, die durch Kalorienrestriktion aktiviert werden, wie die Autophagie. Dabei wird ein Prozess eingeleitet, bei dem die Zelle die geschädigten Proteine erkennt und verdaut. Diese Entschlackung wirkt sich positiv aus. Eine Minderung der Nahrungszufuhr hemmt allerdings die Bildung von Immunzellen – damit wird die Infektionsanfälligkeit erhöht.

Der japanische Stammzellenforscher Shinya Yamanaka hat im Labor bewiesen, dass man die Lebensuhr jeder Körperzelle auf Anfang, in das Embryonalstadium, zurückstellen kann. Für diese Re-Programmierung erhielt er 2012 den Nobelpreis für Medizin. Ist das nicht ein Weg, um das Altern zu besiegen?

Es gibt Forschungen an Mäusen, die tatsächlich zeigen, dass man mit Reprogrammierung das Gewebe verjüngen kann. Die Gefahr dabei ist, dass man nicht nur die Zellen reprogrammiert, die man erreichen will, sondern dass auch andere Zellen aktiviert werden, die nicht wieder zur Ruhe kommen und zu Krebsgeschwüren führen.

Karl Lenhard Rudolph unterrichtet Molekulare Alternsforschung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

»Wir suchen nicht nach dem Schlüssel zur Unsterblichkeit, sondern nach besseren Therapien für Alterskrankheiten.«

In Ihrer Forschung haben Sie versucht, die Teilungsfähigkeit der adulten Stammzellen zu verlängern und so das Regenerationspotenzial der Organe zu verbessern. Ist Ihnen das gelungen?

In Tierversuchen ist es möglich, den Erhalt bestimmter Organe zu verlängern, das Immunsystem zu stärken oder die Muskelkraft und Blutbildung im Alter zu verbessern. Damit können bestimmte altersbedingte Dysfunktionen und Krankheiten verzögert oder gar eliminiert werden. Ich sehe durchaus punktuelle Ansätze für eine Verbesserung der Gesundheit im Alter, aber keine Chance, die Alterung des ganzen Körpers zu stoppen. Dafür ist der Gesamtorganismus, mit den ganz verschiedenen Zelltypen und Organen, einfach nicht programmiert.

Die Wissenschaft wird den Tod also nicht überlisten?

Es kann keine unbegrenzte Lebensspanne geben, dafür hat die Evolution gesorgt und bestimmte Vorrichtungen entwickelt. Zum Beispiel die Telomere, die am Ende eines jeden Chromosoms sitzen und bei jeder Zellteilung kürzer werden. Wir können bestimmte Signale blockieren und Kontrollpunkte ausschalten – und so die Zellteilung etwas verlängern. Aber es gibt ein Limit. Sind die Telomere zu kurz, führt das zum genetischen Chaos und zum Zelltod.

Wenn man im Labor den Blutkreislauf einer alten und einer jungen Maus miteinander verbindet, wird die alte Maus stärker, schlauer und gesünder – ohne dass die junge einen Schaden nimmt. Kann junges Blut das Leben des Menschen verlängern?

Das Altern der Zellen wird offensichtlich nicht nur durch Prozesse in den Zellen verursacht, sondern auch durch Einflüsse aus deren Umgebung. Die Botenstoffe und Proteine im Blut tragen dazu bei, dass die Zelle richtig funktioniert. Das ist eine sehr wichtige Erkenntnis. Aber man weiß noch nicht genug, was bei der Parabiose, also der Verbindung zweier Organismen, genau passiert und welche Proteine oder Botenstoffe im Alter die Verschlechterung der Zellfunktion verursachen.

Einige US-Firmen verdienen aber schon viel Geld mit dem Verkauf von jungem Blut …

Man kann die Laborversuche an Mäusen nicht eins zu eins auf Menschen übertragen. Die Forschung steht dort noch sehr am Anfang.

Wissenschaftler am Kölner Max-Planck- Institut für Biologie des Alterns haben gezeigt, dass ältere Killifische länger leben, wenn sie mit dem Kot der jüngeren gefüttert werden. Können Fäkalientransplantationen auch das menschliche Leben verlängern?

Die Bakterien, die in uns und auf uns leben, haben einen großen Einfluss auf unsere Physiologie und auch auf das Altern. Sie interagieren mit unserem Körper, senden Botenstoffe, die in unseren Körper gelangen. Wir wissen, dass sich die Zusammensetzung der Bakterien im menschlichen Darm im Lauf des Lebens verändert – und wahrscheinlich geht dadurch die Regenerationsfähigkeit mancher Organe verloren. Wir bauen gerade eine Forschungsgruppe auf, die herausfinden soll, welche Bakterien einen negativen und welche einen positiven Einfluss auf das Altern haben.

Google-Entwicklungschef Ray Kurzweil meint, dass wir in 30 Jahren in der Lage sein werden, das menschliche Gehirn downzuloaden, die Intelligenz eines jeden einzelnen Menschen und seine Denkweise zu digitalisieren. Wäre das eine Form der Unsterblichkeit?

Ich kann mir vorstellen, dass lernfähige Computer einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung der Menschheit leisten – und auch in der Alternsforschung Anwendung finden werden. Sie können durchaus Lösungsmöglichkeiten aufzeigen, die der Mensch vielleicht übersehen hat. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das menschliche Gehirn auf einem Computer nachempfunden werden kann. Das Individuum ist doch spontan, hat spontane Ideen und Eingebungen, die sehr stark von Interaktionen mit der Umgebung abhängen. Durch die künstliche Intelligenz wird kein Mensch unsterblich.

Kann man Menschen, die jetzt ihren Körper nach dem Tod kryokonservieren, also einfrieren lassen, irgendwann zum Leben erwecken?

Ich denke nicht, dass man diese Körper revitalisieren kann. Wir können heute einzelne Zellen und kleine Gewebepartien einfrieren, sodass sie keinen Schaden nehmen. Aber bei hochkomplexen Organismen geht sicher vieles kaputt. Die Aufgabe der Alternsforschung ist meiner Ansicht nach nicht die Suche nach dem Schlüssel zur Unsterblichkeit, sondern nach Erkenntnissen, die eine bessere Therapie von Alterskrankheiten ermöglichen und die Gesundheitsspanne im Alter verlängern. Wenn die mittlere Lebenserwartung dann vielleicht auf 100 Jahre steigt, weil die Menschen länger gesund bleiben – umso besser.

Die Forschungsgruppe von Karl Lenhard Rudolph beschäftigt sich mit den Ursachen, Prozessen und Folgen der Stammzellalterung. Die Stammzellen des erwachsenen (adulten) Organismus sind für den lebenslangen Erhalt und die Regeneration der Gewebe und Organe des Körpers unerlässlich. Die molekularen Mechanismen, die dem Funktionsverlust der Stammzellen zugrunde liegen, sind derzeit noch weitgehend unbekannt.

Weitere Informationen über die Forschungsgruppe

Andrzej Rybak

nutzte für dieses Interview seine Schwägerin als Recherchequelle: Sie leitet das Labor für molekulare Grundlagen des Alterns am Institut für experimentelle Biologie in Warschau.