Eveline Hall sieht im Alter keinen Makel, sondern nutzt es zu ihren Gunsten.

„Leichtfüßig
geschwebt“

In einem Alter, in dem andere in Rente gehen, startete Eveline Hall erst so richtig durch. Die ehemalige Tänzerin und Bühnendarstellerin lief mit Mitte 60 erstmals über den Catwalk, nahm wenig später ein Musikalbum auf und gab im vergangenen Jahr ihr Debüt in einem Kinofilm. Ein Gespräch mit dem 71-jährigen Topmodel über eine späte Weltkarriere, eiserne Disziplin und überflüssiges Botox.

Sie hatten mit 65 Jahren Ihren Durchbruch als Model. Wie kam’s?

Über einen alten Bekannten, Ted Linow, einen ehemaligen Rollschuhprofi und inzwischen Inhaber einer Modelagentur. Als wir uns nach vielen Jahren zufällig trafen, meinte er nur: „Du siehst noch so aus wie früher, du gehörst auf den Laufsteg.“ Und dann überzeugte er den Designer Michael Michalsky, mich zu buchen.

Waren Sie sofort Feuer und Flamme, bei der Berliner Fashion Week in einer Reihe mit 16-Jährigen zu laufen?

Überhaupt nicht. Ich sagte: „Das kann ich nicht.“ Aber Ted hat mich überredet. Zwei Minuten vor dem Auftritt hatte ich Magenschmerzen, weil ich wusste: Ich kann nicht so laufen wie ein Teenager. Egal wie fit man ist: Der Gang verändert sich mit dem Alter.

Was haben Sie getan?

Ich habe in letzter Sekunde entschieden, meinen eigenen Walk zu machen. Ich bin nicht stocksteif und emotionslos gelaufen, sondern wie eine Tänzerin leichtfüßig über die Bühne geschwebt und habe mit dem Publikum geflirtet. Am nächsten Tag war ich Thema in vielen Zeitungen, und die waren voll des Lobes.

Sie tragen Kleidergröße 34. Wie haben Sie diese Figur bis heute gehalten?

Durch Disziplin. Seit über 40 Jahren trainiere ich meinen Körper täglich bis zu zwei Stunden. Ich habe ein Programm dafür entwickelt, Ballettübungen, die jeden Muskel beanspruchen und die ich mit zwei Fünf-Kilo-Hanteln ausführe. Dabei höre ich je eine Stunde französische und englische Nachrichten. Ich will die Sprachen nicht verlernen und auch geistig fit bleiben.

Sie konnten ja nicht ahnen, dass Sie im reifen Alter noch eine Modelkarriere starten würden. Woher haben Sie in all den Jahren die Motivation genommen, Ihr hartes Training durchzuziehen?

Es ist banal: Es war mein Geiz. Ich wollte weiterhin in meine tollen Kleider passen und hatte keine Lust, Geld für neue Garderobe auszugeben.

Trotz aller Fitness: Gibt es dennoch Stellen, an denen Sie erkennen, dass Sie keine 20 mehr sind?

Klar, im Gesicht sieht man das Alter.

Wie halten Sie den Alterungsprozess auf? Verwenden Sie teure Faltencremes?

Daran glaube ich nicht. Ich mache täglich ein Gesichts-Peeling aus Kaffeesatz, das fördert die Durchblutung, und ich verwende Honig als Maske. Dazu noch eine günstige Tagespflege, das war’s.

Wäre Botox eine Option?

Nein, ich sehe keine Notwendigkeit dafür. Die Fotografen sind hingerissen von meinem Gesicht, so wie es ist. Als Kind litt ich unter meinem schmalen Gesicht. Heute sind markante Züge mein Erfolgsgarant. Ich fürchte das Älterwerden nicht, sondern nutze, was ich gerade wegen meines Alters zu bieten habe.

Sie haben eine Vorliebe für jüngere Männer. Hält das auch vital?

Möglich, das ist aber nicht der Grund. Ich bin eine sehr körperliche Frau; mit einem betagten Mann könnte ich nichts anfangen. Es sind ja nicht alle Sean Connery.

Haben Sie jemals geschummelt, was Ihr Geburtsjahr betrifft?

Ja, einmal. Bei einem Partner, der 15 Jahre jünger war als ich. Als er eine Familie gründen wollte, musste ich gestehen, dass ich bereits 48 war.

Man sagt ja immer: Man ist so alt, wie man sich fühlt. Wo liegt das gefühlte Alter bei Ihnen?

Bei 40. Ich hatte noch nie so viel Kraft wie jetzt, das macht mir manchmal Angst. Denn irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, an dem ich mit einem Schlag das Alter spüren werde.

Was haben Sie bis dahin noch vor?

Aktuell arbeite ich an einem Album mit deutschen Liedtexten und freue mich auf weitere Filmrollen, am besten in internationalen Produktionen. Und: Ich will anfangen zu joggen. Ich möchte nicht, dass mir bei der Arbeit mal die Puste ausgeht. Erst werde ich die Straße hoch- und wieder runterlaufen. Und danach jeden Tag ein Stück weiter.

Interview: Marion Genetti