Achim Drewes (l.) und Benjamin Adrion beim Evonik-Streitgespräch in der Frankfurter Zentrale von Nestlé Deutschland

Ware oder Menschenrecht?

Wem gehört das Wasser? Benjamin Adrion von Viva con Agua und Achim Drewes von Nestlé diskutieren über eine der wichtigsten Fragen der Gegenwart.

Sie beide verkaufen Wasser, Sie Herr Adrion, um damit unter anderem Brunnen zu finanzieren; für Nestlé, Herr Drewes, macht Wasser etwa 7 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Finden Sie trotzdem Gemeinsamkeiten?

Drewes: Für uns als Unternehmen geht es darum, einen gemeinsamen Mehrwert zu schaffen. Das gilt für die Gemeinschaften um unsere Standorte und Lieferketten und für das Verhältnis, das wir mit dem Verbraucher haben wollen. Und auch wenn man sagen könnte, dass es eigentlich nicht zu den Kernaufgaben von Lebensmittelherstellern gehört, in abgelegenen Dörfern Brunnen und Latrinen zu bauen: Wir machen dies seit Jahren im Rahmen von Standortoder Lieferkettenprogrammen, wo dies notwendig ist. Es könnte also durchaus sein, Herr Adrion, dass Ihre und unsere Aktivitäten teilweise auf das gleiche Ergebnis hinauslaufen.

Adrion: Da würde ich klar widersprechen, so schnell können Sie mich nicht vereinnahmen. So zu tun, als lägen Nestlé und Viva con Agua in der Grundausrichtung nah beieinander, ist irreführend. Unser gesamtes Handeln folgt der Motivation, dass alle Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser bekommen. Und dass eine sanitäre Grundversorgung gewährleistet ist. Der Unterschied ist, dass wir unsere Gelder nutzen, um der Vision „Wasser für alle“ näherzukommen. Im Zentrum unseres Handelns stehen gemeinnützige Organisationen, die sich für Wasserprojekte weltweit einsetzen. Getragen von einem enormen ehrenamtlichen Netzwerk, das sich mit Freude für unsere Vision einbringt. Wie Nestlé haben wir auch ein Mineralwasser, das wir verkaufen. Wir wollen jedoch kein Wasser entnehmen in Gebieten, in denen Wasserarmut herrscht – auch das unterscheidet uns.

Drewes: Das stimmt so nicht. Auch Nestlé füllt kein Wasser ab, wo es knapp ist oder gar Dürre herrscht. Wir sind zwar auch in Ländern aktiv, wo teilweise Wasserknappheit herrscht oder der Zugang zu öffentlicher Wasserversorgung unzureichend ist. Doch unsere Standorte befinden sich dort, wo auch langfristig ausreichend Wasser zur Verfügung steht, und wir stellen sicher, dass sie keine negativen Auswirkungen haben. Sie bauen doch keine teure Abfüllanlage in einer Dürreregion oder dort, wo Sie das Werk wegen gesunkener Grundwasserspiegel nach fünf Jahren schließen müssen.

Achim Drewes und Benjamin Adrion mit den Evonik- Redakteuren Christof Endruweit (r.) und Marcus Müntefering

Herr Adrion, Sie füllen ausschließlich in Deutschland ab. Könnten Sie sich vorstellen, in Zukunft auch in den Ländern, in denen Sie aktiv sind, Wasser abzufüllen?

Adrion: Das ist für uns eine relevante Fragestellung, ob wir unsere Aktivitäten in Ländern wie Äthiopien, Nepal oder Uganda durch Projekte wie ein soziales Wasser ergänzen. Wir sind ja mehr als eine NGO, die Geld sammelt und dann vor Ort Brunnen baut. Wir schaffen eine internationale Community aus Studenten, Musikern oder Künstlern, die sich mit unserer Vision und unseren Aktivitäten identifizieren und sagen: Wir sind auch Viva con Agua. Dennoch würden wir in Ländern wie Äthiopien kein Wasser abfüllen. Zum einen wegen der Wasserknappheit in diesen Gebieten. Und zum anderen, weil wir ganz klar sagen, es wird nie Viva-con-Agua-Plastikflaschen in Ländern geben, die kein vernünftiges Recyclingsystem haben. Die Zumüllung durch Plastikflaschen ist ein riesiges Problem, daran wollen wir nicht teilhaben. Generell wollen wir nicht in Konkurrenz stehen mit der grundlegenden Wasserversorgung der Menschen in wasserarmen Regionen. Dabei geht es natürlich nicht nur um das Abfüllen von Flaschenwasser, sondern vor allem um den Agrarsektor, in dem das meiste Wasser gebraucht wird. Ein Bereich, in dem zum Beispiel Nestlé seit 150 Jahren tätig ist. In dieser Zeit hat sich der globale Wasserverbrauch dramatisch vergrößert, und heute sind wir an der Kapazitätsgrenze des Planeten angekommen.

Drewes: Das ist ein spannendes Thema: Wer ist für die Regulierung der Nutzung von Wasser verantwortlich? Wer gestaltet den Rahmen? Welche Anforderungen ergeben sich daraus? Sie müssen, wenn Sie mit Wasser Geld verdienen wollen, und das möchte Nestlé weiterhin, bestimmte Anforderungen erfüllen, um auch die soziale Lizenz zum Arbeiten zu haben. Das heißt, wir müssen neben ökologischen Fragen auch immer prüfen, ob um einen Standort das Menschenrecht auf Wasser gewährleistet ist. Und wenn dies nicht der Fall ist, sollten Unternehmen dazu beitragen, diesen Gap kleiner zu machen, also zum Beispiel Wasser- und Sanitärprogramme aufsetzen. Das tun wir auch, aber natürlich müssen wir uns immer fragen, ob wir genug getan haben. Es braucht vor allem eine klare und saubere Regulierung seitens der Regierungen, gerade in sich entwickelnden Regionen, wo eine Wasseraufbereitung fehlt, wo die Landwirtschaft und die Industrie zur Verunreinigung des Wassers beitragen. Es muss Kontrollen geben, Nutzungsrechte müssen klar organisiert werden, alle, die eine Wasserressource gemeinsam nutzen, müssen ihren Teil dazu beizutragen, dass gemeinsame Lösungen gefunden werden. Das schließt die Landwirtschaft als Hauptwassernutzer mit ein. Wir betreiben in vielen Ländern Capacity Building und helfen Landwirten, mit der knappen Ressource Wasser besser und verantwortungsbewusster umzugehen.

Adrion: Solche Maßnahmen und die Erfüllung der moralischen Verpflichtung, dass Menschen im Umfeld von eigenen Werken in menschenwürdigen Umständen leben sollten, zum Beispiel hinsichtlich der Wasserversorgung, tragen natürlich nicht direkt zur Wirtschaftlichkeit von Unternehmen bei. Gerät man da nicht potenziell in Konflikt mit wirtschaftlichen Zielen des Unternehmens und könnte auf die Idee kommen, solche sozialen Mindestanforderungen der Rendite zu opfern, zu sagen: Wir machen gerade so viel, dass wir unseren Erfolg vor Ort sicherstellen können und unser öffentliches Ansehen aufrechterhalten? Interessant finde ich auch, wenn Sie sagen, dass seitens der Regierungen mehr reguliert werden muss. Steht das nicht im Widerspruch zu den strategischen Interessen Ihres Unternehmens, also Handelsbarrieren runterzufahren, Zölle zu reduzieren, die Liberalisierung des Markts voranzutreiben?

Drewes: Das ist überhaupt kein Widerspruch. Ein Unternehmen wie Nestlé, das in vielen Regionen aktiv ist, hat immer Interesse daran, dass es klare Spielregeln gibt, an denen es sich orientieren kann. Nur so haben wir Planungssicherheit. Wichtig ist es für uns, dass es keine erratischen Schwankungen oder Brüche in den Handelsbeziehungen gibt. In diesem Sinne ist Nestlé ganz klar für einen freien Handel.

Adrion: Ich sehe einen interessanten Bruch zwischen Ihrer Einflussnahme auf die wirtschaftspolitischen Agenden auf der einen Seite und Ihrer Forderung nach staatlicher Regulierung an anderer Stelle.

Drewes: Ich halte es nicht für grundsätzlich falsch, dass Unternehmen sich bei der Gestaltung von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einbringen. Zur Regulierung von Wassernutzung: Sie brauchen klare Regelungen für alle Nutzer in einem Wassereinzugsgebiet, welche Mengen Wasser mit welchen ökologischen Restriktionen entnommen werden können. Um sicherzustellen, dass keiner mehr entnimmt, als ihm zusteht oder nachhaltig ist.

»Unser gesamtes Handeln folgt der Motivation, dass alle Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser bekommen.«

Benjamin Adrion, Viva con Agua

Kakao-Dorf in Elfenbeinküste: eine der von Nestlé mit dem Internationalen Roten Kreuz errichteten Toiletten.

Brunnen in Nepal, wo Viva con Agua 2014 ein Projekt gestartet hat. Fokus: Schulkinder.

»Wer mit Wasser Geld verdienen möchte, muss bestimmte Anforderungen
erfüllen, um auch die soziale Lizenz zum Arbeiten zu haben«

Achim Drewes, Nestlé

Planungssicherheit und Spielregeln – sind diese Begriffe auch für Ihre internationalen Aktivitäten wichtig, Herr Adrion?

Adrion: Wir agieren stark auf zivilgesellschaftlicher Ebene und haben vergleichsweise wenig Kontakt mit Regierungen und öffentlichen Institutionen vor Ort. Das systemische Problem, das ich sehe in Bezug auf globale Spielregeln, ist, dass von der Industrie, auch von Lebensmittel-Transnationals, Einfluss genommen wird im Rahmen intransparenter Prozesse, die den Interessen der Industrienationen folgen. Gerade auf dem afrikanischen Kontinent, wo Wettbewerbsgesetze und Administrationen oft noch nicht so weit entwickelt sind wie in Europa, besteht die Gefahr, dass Unternehmen den Regierungen immer einen Schritt voraus sind und die bestehenden Lücken nutzen zum eigenen Vorteil und zum Nachteil der Bevölkerung vor Ort.

Drewes: Da würde ich gern ein bisschen differenzieren. Die Zivilgesellschaft hat sehr hohe Erwartungen, was mögliche Beiträge von Unternehmen zur Bewältigung globaler Probleme angeht. Und ich glaube, dass Unternehmen wie Nestlé sehr wohl einen Hebel haben, globale Herausforderungen kleiner zu machen, und dass es Teil unseres Pflichtenhefts ist, zu konkreten Themen auch einen sichtbaren, transparenten Beitrag zu leisten. Und wenn wir einen neuen Werkstandort erschließen, arbeiten wir mit hohen Umweltstandards.

Adrion: Damit meinen Sie interne Nestlé-Standards …

Drewes: Ja, und sie gelten für uns als Mindeststandards, die bindend sind wie eine gesetzliche Vorgabe. Konkret heißt das zum Beispiel, dass wir kein Wasser ungereinigt wieder in die Umwelt abgeben. Wenn nötig, bauen wir eigene Kläranlagen. Dies kann auch positive Auswirkungen auf die Region haben.

Achim Drewes

arbeitet als Leiter Public Affairs bei Nestlé Deutschland. Er ist unter anderem für die Kommunikation mit Politik, NGOs und Verbänden zuständig. Nestlé ist der größte Nahrungsmittelhersteller der Welt, Hauptsitz ist Vevey. Das Geschäft mit dem Wasser trug 2016 7,4 Prozent zum Gesamtumsatz von 82,4 Milliarden Euro bei. Zu den bekanntesten Wassermarken im Portfolio gehören S. Pellegrino und Vittel.

Benjamin Adrion,

ehemaliger Fußballprofi, gründete 2006 die Organisation Viva con Agua de Sankt Pauli e.V. Die Vision des Vereins: sauberes Wasser und sanitäre Grundversorgung für alle. Die Idee: dafür auf kreative Weise Spenden sammeln. Auch das soziale Mineralwasser zahlt seit 2010 auf die Vision des Vereins ein. Insgesamt konnte Viva con Agua bis heute 2 Millionen Menschen in Wasserprojekten weltweit erreichen.

Wie schätzen Sie, Herr Adrion, solche Maßnahmen ein? Was muss Ihrer Meinung nach getan werden?

Adrion: Die Schaffung einer nachhaltigen Welt ist die essenzielle Aufgabe der kommenden Generationen. Und da gibt es noch viel zu tun. Wir leben über unsere Verhältnisse, was den Verbrauch unserer Ressourcen angeht, insbesondere auch von Wasser. Wenn es so weitergeht wie bisher, dann geht das nicht mehr lange gut. Wir brauchen schon heute vier Planeten, um unseren Bedarf zu decken. Und immer noch soll mehr Wachstum die Lösung sein?

Drewes: In einem Punkt sind wir uns einig: Wir sind in einer Situation, in der Konsum und Produktionsanbaumuster nicht nachhaltig sind. Durch die Sustainable Development Goals, auch wenn sie nicht perfekt sind, haben wir einen Rahmen, der eigentlich helfen sollte, sowohl die Industrie als auch die Zivilgesellschaft und nicht zuletzt die Regierungen – die weiterhin die Hauptverantwortung für Entwicklungspolitik tragen – auf gemeinsame Ziele einzuschwören.

Adrion: Ich finde es erstaunlich, wie Sie hier die Verantwortung in Richtung Politik schieben. Es wäre schön, wenn ein Unternehmen wie Nestlé einfach aus haben könnte. Am Ende heißt es dann, man verkaufe eben das, was der Kunde wolle?

Drewes: Nein. Die Regierungen haben ganz klar die Verantwortung für entwicklungspolitische Zielvorgaben, aber alle anderen, auch die Industrie, müssen ihren Beitrag zur Erreichung der Ziele leisten. Wir haben mit den Sustainable Development Goals einen gemeinsamen Ziele-Kanon, der auch in der Wirtschaft – die Sie hier verteufeln – breite Zustimmung gefunden hat. Und das ist eine Chance, gemeinsam etwas zu bewegen.

Adrion: Ich verteufle die Wirtschaft nicht. Mir geht es nicht um Pauschalurteile, sondern darum zu fragen: Wie sind wir in diese Situation geraten? Und was müssen wir tun, um etwas in diesem Prozess zu verbessern? Wie können wir die Wirtschaft so umgestalten, dass sie, wie es Richard David Precht genannt hat, enkeltauglich wird? Und da habe ich schon Zweifel, dass globale Unternehmen, die letztlich von anonymen Anteilseignern gesteuert werden, ausreichend in der Lage sind, die vollständigen Auswirkungen ihres Handelns zu berücksichtigen. Am Ende steht das Jahresergebnis im Vordergrund.

Herr Drewes, 2010 wurde von den Vereinten Nationen das Menschenrecht auf Wasser formuliert. Die Zahl der Menschen, die Zugang zu sauberem Wasser haben, ist seitdem stark gestiegen. Ein Erfolg?

Drewes: Ja, aber wahrscheinlich eher das Ergebnis von Entwicklungsprozessen als von einer formalen Verankerung des Rechts auf Wasser. Aber es war ein konsequenter Schritt, dem Recht auf Wasser einen besonderen Status zu geben, weil man so Sensibilität für das Thema schafft. Was es aber nicht macht, ist, konkrete Verpflichtungen für die verschiedenen Akteure abzuleiten. Wir versuchen, dies für unsere Aktivitäten herunterzubrechen – mit Community- Programmen im Umfeld unserer Standorte oder durch die Zertifizierung von Werken in Regionen mit Wasserstress nach dem neuen Standard der Alliance for Water Stewardship.

Adrion: Auf der einen Seite kann man sagen, dass sich die Zahl der Menschen, die keinen Zugang haben, in den vergangenen 10, 15 Jahren halbiert hat. Auf der anderen Seite weiß niemand, wie sich die klimatischen Gesamtbedingungen entwickeln werden und was das mit sich bringt. Der Klimawandel hat schon heute massive Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Wasser weltweit. Vor allem durch das Wasser für Landwirtschaft und Industrie kommen wir, was die Gesamtkapazität angeht, schon heute an unsere Grenzen. Das Thema virtuelles Wasser, also das Wasser, das bei der Herstellung von Produkten verbraucht wird, spielt hierbei eine wichtige Rolle. Aktuell gelingt es uns im Rahmen unseres Konsums nicht, Wasser nachhaltig zu verwenden. Dies kann durchaus in der Zukunft auch wieder zu rückläufigen Zahlen führen in Bezug auf Trinkwasserversorgung sowie zu vielen weiteren negativen Folgen.

Spürt Nestlé als Unternehmen, das auch immer wieder pars pro toto in die Kritik genommen wird, eine besondere Verantwortung, Herr Drewes?

Drewes: Als größter Lebensmittelhersteller sind Sie automatisch immer die erste Zielscheibe. Insofern muss man auch mit Kritik umgehen können. Man muss die richtigen Antworten finden, korrigieren, wenn man etwas mal nicht so gut gemacht hat. Und man muss bei Schwierigkeiten den Dialog und die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft suchen, was wir mittlerweile ganz gut machen.

Adrion: Das ist ein erster Schritt, kann jedoch nur ein Anfang sein. Es sind starke Kurskorrekturen notwendig, um eine nachhaltige Welt zu schaffen, und ich befürchte, dass die Veränderungsgeschwindigkeit nicht hoch genug ist. Für große Unternehmen geht es letztlich in erster Linie darum, die Lieferketten sicherzustellen, Rendite zu machen, weiteres Wachstum zu generieren. Und das geht nicht ohne viele, viele Ressourcen. Die Verantwortung, hier etwas zu ändern, liegt stark bei den Unternehmen. Nur gemeinsam mit Ihnen können wir es schaffen. Ich bin optimistisch, dass es mehr und mehr Unternehmen gibt, die sich an die Spitze der Bewegung setzen werden, nicht zuletzt durch den Druck von uns Konsumenten, aber auch aufgrund von gesundem Menschenverstand auf der Führungsebene der großen Konzerne.

Moderation: Christof Endruweit und Marcus Müntefering