Mineralwasser ist zum Lifestyleprodukt geworden und steht für Gesundheit und Sportlichkeit.

Die Quelle des Erfolgs

Mit einem legendären Filmemacher begann in den Siebzigerjahren der Siegeszug des Mineralwassers. Wie durch geschicktes Marketing aus einem Nischenprodukt ein Massenphänomen wurde.

Orson Welles ist berüchtigt für seine Hörspielfassung von „Krieg der Welten“, die 1938 die Landung von Außerirdischen in den USA dramatisierte. Und berühmt für seinen Film „Citizen Kane“, der bis heute auf keiner ernst zu nehmenden Top-Ten-Liste der besten Filme aller Zeiten fehlt. Kaum bekannt hingegen ist, dass Welles auch einen Beitrag dazu leistete, dass Mineralwasser sich von einem Nischenzu einem Massenprodukt entwickelte. In den Siebzigerjahren steht es nicht gut um die Finanzen des Genies, er nimmt jeden Auftrag an, der ein paar Dollar einbringt. So spricht er einen Werbespot für die französische Wassermarke Perrier ein, die auf dem US-Getränkemarkt Fuß fassen will. Denn die Verkäufe bleiben weit hinter den Erwartungen zurück, Mitte der Siebziger verkauft Perrier nur etwa 2,5 Millionen Flaschen im Jahr. Dann kommt Orson Welles und damit laut Guardian „einer der größten Momente in der Geschichte der Werbeeinsprecher“. Mit sonorer Stimme beschwört Welles die Natur, die allein in der Lage sei, ein Produkt wie Perrier hervorzubringen: so erfrischend, so natürlich, so perlend.

Hohe Margen

Dank eines abgebrannten Filmgenies, eines enormen Werbebudgets von fünf Millionen $ und Sponsoring wie beim New-York-Marathon verkaufte Perrier Ende der Siebziger in den USA bereits 75 Millionen Flaschen jährlich. Es galt als chic, den „Champagner unter den Wässern“ zu trinken. Ob in den Restaurants von New York City oder in den Clubs von Los Angeles – die Wahl des richtigen Wassers war plötzlich fast so wichtig wie der perfekte Wein. Ein Trend, der schnell auch Europa erreichte. Wasser, begannen globale Unternehmen von Coca-Cola bis Danone zu verstehen, war ein Produkt wie jedes andere. Fast wie jedes andere: Die Margen beim Wasser waren unvergleichlich höher. Man konnte es massenhaft verkaufen, indem man es offensiv vermarktete: mit Werbespots, Plakaten und, wie man heute sagen würde, Influencern, also berühmten Frauen und Männern, die wie zufällig mit einer Flasche Edelwasser in der Hand fotografiert wurden. Weltweit wuchs keine andere Getränkegruppe in den vergangenen Jahrzehnten vergleichbar dynamisch wie Mineralwasser. Große Getränke- und Lebensmittelkonzerne erkannten ab den Achtzigerjahren den Trend, der durch die Einführung der PET-Flasche zusätzlich getrieben wurde. Sie brachten eigene Wässer auf den Markt oder kauften wie Nestlé eingeführte Marken wie Perrier. Heute macht Nestlé, der größte Lebensmittelkonzern der Welt, 7,4 Milliarden Schweizer Franken Jahresumsatz mit Mineralwasser.

Ein Tipp von Wassersommelier Arno Steguweit: „Das Wasser muss nicht zum Essen passen, sondern zum Wein.“

»Leitungswasser hat nicht viel mit Genuss zu tun.«

Arno Steguweit

Viele bekannte Wassermarken tragen ihre Herkunft im Namen: Evian, Vittel, Volvic, Selters oder Gerolsteiner. Namen, die für Sportlichkeit, Gesundheit und unberührte Natur stehen. Für Reinheit. Und weil sie ihren Namen ändern müssten, sollten sie gezwungen sein, eine andere Quelle zu nutzen, tun die Unternehmen etwas für den Schutz der Landschaft rund um ihre Quellen.

149 Liter pro Kopf

Evian etwa kommt aus der Umgebung von Évian-les-Bains, einem kleinen Ort in den Savoyen, der höchstgelegenen Region Europas. Hier wird auch der Reblechon de Savoie produziert, ein berühmter Käse aus unbehandelter Kuhmilch. Nun hinterlassen Kühe neben Milch auch jede Menge Mist. Um zu verhindern, dass das darin enthaltene Nitrat ihr Premiumprodukt Evian verunreinigt, ging Danone in die Offensive und rief die Initiative „Terragr’Eau“ ins Leben. Die betreibt seit Anfang 2017 eine Anlage, in der die Bauern ihren Kuhmist zu Biogas verarbeiten lassen können. 36.000 Tonnen organischer Dünger entstehen so jährlich, und die Nitrate versickern nicht mehr im Boden. 1970 betrug der Pro-Kopf-Verbrauch für Heil- und Mineralwässer in Deutschland 12,5 Liter im Jahr, 1990 waren es bereits fast 83 Liter, heute sind es laut dem Verband Deutscher Mineralbrunnen (VDM) rund 149 Liter. Wibke Spießbach vom VDM sieht unter anderem im Gesetzgeber einen wichtigen Wachstumstreiber: „Die Absenkung der Promillegrenze im Straßenverkehr, erst 1973 von 1,5 auf 0,8 Promille, dann 2001 auf 0,5 Promille, kam dem Mineralwasser zugute. Es wurde zu einem akzeptierten Getränk in geselliger Runde und war damit nicht mehr Verzichtgetränk.“

Ebenfalls rund 149 Liter verbrauchen inzwischen US-Bürger pro Kopf und Jahr. 2016 war das erste Jahr, in dem sie mehr „bottled water“ tranken als Softdrinks wie Cola und Limonade. Für 2020 erwartet das amerikanische Marktforschungsunternehmen Zion einen weltweiten Jahresumsatz mit Mineralwasser von 280 Milliarden $ - 2014 waren es laut Zion etwa 170 Millionen $.

Die Auswahl an Wässern ist enorm, Mineralwasser gibt es für ein paar Cent pro Liter beim Discounter oder für ein paar Euro beim Premiumsupermarkt. Es gibt Wasser aus der Quelle um die Ecke, von einem norwegischen Gletscher oder aus der arktischen Wildnis Lapplands. Wasser wird mit Vitaminzusätzen verkauft und als Jungbrunnen vermarktet. Es kommt in schicken Plastikflaschen daher, in Dosen und sogar in juwelenverzierten Glasflakons. Aber egal ob das Wasser aus der Region oder von weit her kommt, egal wie viel oder wenig es kostet: Es ist immer massiv teurer als Leitungswasser – ein Liter kostet in Deutschland etwa 0,2 €-Cent, in den USA wenig mehr.

Aber ist es auch besser? „Nein“, sagt Arno Steguweit, Deutschlands erster Wassersommelier, der jahrelang im Restaurant des Berliner Hotels Adlon das passende Wasser zum Wein empfahl. „Die Mineralwasserpreise entsprechen nicht der Qualität, sondern Herkunft und Marketing.“

Leitungswasser trinkt Steguweit dennoch nicht: „Ich benutze es zum Kochen. Für mich hat es nicht viel mit Genuss zu tun.“ Ein Genuss, der nicht einfach zu definieren ist: Mineralwasser könne man nicht riechen oder schmecken, so Steguweit, man müsse es fühlen. „Deswegen ist jede Bewertung sehr subjektiv, es gibt kein Richtig und kein Falsch, nicht das einzig wahre Wasser.“

Inzwischen hat sich Steguweit selbstständig gemacht, verkauft über seine Website neben Wein auch Wasser, darunter sogenannte Exoten etwa von den Fidschi-Inseln: „Ich bin ein Freund von Regionalität – aber ich probiere auch gern mal etwas aus.“ Vielfalt und Auswahl sind wichtige Gründe für den Wasserkonsum, dazu kommt der Distinktionsgewinn, weil es als etwas Besonderes gilt, ein seltenes japanisches Wasser zu trinken. Und dann ist da noch das Thema Gesundheit, auf das viele Unternehmen bei der Vermarktung setzen. „Der Marketingtrick des Jahrhunderts“ sei es gewesen, schreibt John Jewell im Nachrichtenmagazin The Week, die Konsumenten davon zu überzeugen, dass Mineralwasser die gesündere Alternative zu gesü.ten Softdrinks sei, während es doch eigentlich in Konkurrenz zu Leitungswasser stehe. Letzteres hatte bereits im Jahr 2000 der damalige Vizepräsident von PepsiCo, Robert S. Morrison, offensiv formuliert: „Der größte Feind ist Leitungswasser.“

Kostenlos im Restaurant

Leitungswasser füllt übrigens viele Flaschen, die unter Fantasienamen teuer verkauft werden; fast jedes vierte angebotene Wasser ist weder Mineral-, Heil- noch Quellwasser. Und während es in Ländern wie Schweden, Frankreich, Italien oder den USA zum guten Stil gehört, Leitungswasser in Restaurants kostenlos anzubieten, verzichtet man in Deutschland ungern auf die zusätzliche Einnahmequelle Mineralwasser. Zuletzt geriet der Schauspieler Til Schweiger in die Schlagzeilen: In seinem Hamburger Restaurant verkauft er Leitungswasser unter dem Namen „Barewater – fein gefiltertes Hamburger Trinkwasser“. Für 4,20 € pro Liter – ein Aufschlag von 210.000 Prozent. Und ein Beispiel für brillantes Marketing.

Christoph Bauer und Marcus Müntefering