Wirtschaft & Gesellschaft
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Ihre Stimme hat Gewicht: Die Wählergruppe der über 60-Jährigen wird immer größer.

Sie haben die Wahl: Die Macht der Generation Ü60

Noch nie war die Generation 60 plus so fit wie heute: Aus dem Ruhestand ist längst ein Aufbruch geworden. Statt die Füße hochzulegen, engagieren sich Senioren sozial, sind beruflich auch nach dem Eintritt ins Rentenalter aktiv, laufen Marathon. Und bei der kommenden Bundestagswahl in Deutschland werden ihre Stimmen ein enormes Gewicht haben: 36,1 Prozent der Wahlberechtigten werden im September 60 Jahre oder älter sein, die 40- bis 59-Jährigen stellen 34,7 Prozent, die 18- bis 39-Jährigen nur 29,3 Prozent.

Die Generation Ü 60 wird so, wie etwa beim Brexit, zum entscheidenden Faktor, zumal die Älteren traditionell den Gang zur Wahlurne weniger scheuen als die Jüngeren: Nach der Bundestagswahl 2013 stellte der Wahlleiter fest, dass die über 70-Jährigen, die früher unterdurchschnittlich oft wählen gingen, auf eine Wahlbeteiligung von 74,8 Prozent kamen und damit sogar knapp über dem Durchschnitt lagen. Setzen die Parteien deshalb mehr auf Rentenpolitik als auf Jugend und Zukunft?

Wahlberechtigte nach Alter in der Bundesrepublik Deutschland, 1953 bis 2017

Senioren-Jobportale

High Potentials

„Unruhegeister“, so nennt Karl Wulftange seine Klienten: Rentner, die noch oder wieder arbeiten. Und davon gibt es immer mehr. Etwa jeder zehnte Deutsche im Rentenalter arbeitet, meist in Teilzeit. Manche, weil ihre Rente nicht reicht, andere, weil sie sich langweilen. Das sind die Klienten von Wulftange, der seit 2008 in Duisburg das Jobportal „Die Silberfüchse“ betreibt. Er vermittelt Unternehmen qualifizierte Arbeitskräfte, die ihre Kenntnisse einbringen. Seine Einmannfirma ist nicht konkurrenzlos; inzwischen gibt es etliche solcher Jobbörsen für Ältere – von „Erfahrung Deutschland“ bis „Rent a Rentner“, die aber weniger auf Führungskräfte spezialisiert sind. Große Unternehmen setzen gleich ihre eigenen Programme auf, um die sogenannten High-Potential-Rentner und deren Know-how im Unternehmen zu halten. Die Konkurrenz macht dem 72-jährigen Wulftange keine Sorgen; er weiß die sich verändernde Demografie auf seiner Seite und setzt vor allem auf kleine und mittlere Unternehmen: „In den kommenden Jahren werden viele von ihnen sich umschauen. Die Machertypen fallen weg.“

3 Fragen an

Elke Laubach

»Eine Brücke der Generationen«

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Mit dem GenerationenPakt hat Evonik 2014 eine Maßnahme ins Leben gerufen, die eine bessere Personalplanung ermöglicht. Was steckt dahinter?

Der GenerationenPakt funktioniert wie eine Brücke der Generationen: Die Älteren gehen mit einem langen Vorlauf geplant in den Ruhestand, und der Nachfolger kann passgenau ausgebildet werden. Somit wird durch eine gute Personalplanung der Wissenstransfer gewährleistet.

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Wie sieht das konkret aus?

Wie sieht das konkret aus? Wir informieren die Mitarbeiter umfassend, damit sie entscheiden können, wie der Austritt aus dem Arbeitsleben gestaltet werden kann. Das arbeitgebergeförderte Langzeitkonto ist ein Instrument, die Freistellungszeit vor dem Renteneintritt zu beeinflussen. Der GenerationenPakt ist eine innovative Anwendung des Langzeitkontos, die den Ausstieg, gemeinsam finanziert durch Unternehmen und Mitarbeiter, möglich macht.

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Wie wird der GenerationenPakt angenommen?

Sehr gut, deshalb wird er auch weitergeführt, aktuell mit Tarifmitarbeitern des Jahrgangs 1962. Mehr als die Hälfte von ihnen haben bereits Beratungsgespräche geführt und stehen jetzt vor der Frage, ob sie über das Modell ausscheiden wollen. Weiterhin ist der GenerationenPakt in enger Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat entstanden und daher anerkannt.

Elke Laubach

arbeitet als Direktberaterin bei HR Services Deutschland von Evonik.

1889

Einführung der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland. Damit war das deutsche Kaiserreich Vorreiter in Sachen Sozialversicherung. Dänemark zog zwei Jahre später nach, Großbritannien 1908, die USA erst 1935.

Die Best Ager gewinnt man mit Emotionen und Fakten für sich.

Die Neuen Lieblinge

Sie sind kaufkräftig, konsumfreudig und werden immer mehr: Best Ager werden von der Werbewirtschaft umschwärmt. Wenn sie nur nicht so resistent gegenüber Werbebotschaften wären ...

Werber nennen die Zielgruppe „Best Ager“ oder „Master Consumer“ und versuchen, sie mit „Seniorenmarketing“ (dieser unglückliche Begriff bezeichnet Marketing für die Zielgruppe ab 50 Jahren) anzusprechen und zum Kauf von Produkten zu bewegen. Mit bislang mäßigem Erfolg. Das Konsumbarometer 2016, für das europaweit 10.500 Menschen befragt wurden, zeigte: 61 Prozent der reifen Kunden lassen sich gern von Verkäufern beraten, nur 43 Prozent machen Kaufentscheidungen von Werbung abhängig.

So ist auch „Katharina das Große“ gescheitert. Obwohl das Mobiltelefon des Mannheimer Herstellers Fitage vielfach gelobt und ausgezeichnet wurde, musste der Spezialist für Seniorenhandys Insolvenz anmelden. Wahrscheinlich hätte er die alten Kunden nicht als solche bezeichnen sollen. Das ist der Kardinalfehler beim Marketing für ältere Menschen, sagen Experten wie Alexander Wild, Berater im Seniorenmarketing. Denn: Wer möchte schon als alt und gebrechlich gelten?

Die Corega-Tabs-Schublade gibt es nicht: 65-Jährige setzen sich zur Ruhe, gehen im Wohnmobil auf Weltreise oder werden Vater. „Der größte Unterschied zu 20-Jährigen besteht aus Werbersicht darin, dass reife Wassersportler eine andere Ansprache brauchen als junge Surfer“, sagt Wild. Statt schrill und laut müsse die Werbung informativ und authentisch sein. Durch ihr Alter brächten diese Menschen viel Erfahrung mit – auch im Umgang mit Marketing. „Um bei ihnen Aufmerksamkeit zu erreichen, sollte Werbung obendrein auf emotionaler Ebene ansprechen oder witzig sein.“

Alles richtig gemacht hat Vodafone Rumänien. Ein Werbespot mit zwei einsamen älteren Frauen, den „Sunday Grannies“, die via Facebook mit hungrigen Studenten vernetzt wurden, ging um die Welt. Zwei Jahre später sind die Grannies Youtube-Stars, haben ihre eigene Kochsendung, und die Prominenz des Landes kommt zum Mittagessen vorbei. Die Nutzung sozialer Netzwerke bei Rumänen über 65 soll sich seit der Ausstrahlung des Clips um 20 Prozent erhöht haben, die Verbreitung von Smartphones um 78 Prozent.